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22.07. – 13.08.2005
forget it! don't trust your archives



Mein Gedächtnis, Herr, ist wie eine Abfalltonne. (Jorge Luis Borges, Das unerbittliche Gedächtnis)

Die Fähigkeit des Menschen sich zu erinnern ist grundlegendes Prinzip unserer Kultur und wesentlicher Bestandteil dessen, wodurch sich unsere Gesellschaft definiert. Museen, Archive, Datenbanken und Netzwerke bestimmen das Bild, das wir uns von der Gesellschaft machen. Unser Drang, zu sammeln und zu archivieren, zu speichern und zu katalogisieren, zu  systematisieren und festzuschreiben, letztlich das aufzubewahren, was als wichtig genug erachtet wird, um es der Nachwelt zu übermitteln und für sie zu erhalten, hat mit dem digitalen Zeitalter das Ausmaß eines gewaltigen Datenstroms erreicht. Da wir dank Digitalisierung von der lästigen Verpflichtung befreit sind, uns entscheiden zu müssen, was sich aufzubewahren lohnt, sichern wir lieber alles und entscheiden später, was wir davon brauchen.

Archive sind nicht nur die Ansammlung von Informationen, sie verdeutlichen auch den Schutz vor dem drohenden Verlust der Dinge – die Versuchung liegt also nahe, alles zu speichern, damit nichts verloren geht. Expandierende Kommunikationswege, vielfältige Speichermöglichkeiten und umfassende Metaverschlagwortung sorgen für das Anwachsen digitaler Archive. Offen bleibt die Frage, ob das höhere Datenaufkommen Ursache für die Entwicklung neuer Speichermedien ist oder durch die größeren Speicherkapazitäten der Produktion von Datenmüll Raum gegeben wird. Wie viel Archivare braucht es, um die angehäuften Datenmengen zu bewegen, und wer ist überhaupt noch in der Lage, diese zu benutzen? Nach welchen Kriterien wird selektiert, was aufbewahrt werden soll und was vergessen werden darf oder muss? Speichermedien bestimmen, in welcher Form Information erhalten bleibt, und geben damit vor, ob und wie Daten wieder abgerufen werden können und was als Ereignis überhaupt archivierbar ist. Versteht man Erinnerung als Grundlage von Kultur, bestimmen Speichermedien und der Umgang mit ihnen wesentlich, was überhaupt als Kultur definiert wird und Eingang ins öffentliche Bewusstsein findet.

Das Vertrauen in die Perfektion der Aufzeichnungstechnologien, Archivierung und kollaborativen Filtermechanismen verändert die Wahrnehmung von Realität. Das Wissen um die Möglichkeit, alles speichern und für den späteren Gebrauch wieder abrufen zu können, verringert unsere Bereitschaft zur Konzentration auf den Moment. Kondensierte Information im praktischen Speicherformat als Ergebnis von Aufzeichnungs- und Filterprozessen wird oft als vielfach effektiver empfunden als das direkte Erleben und Aufnehmen einer Live-Situation. Referenz ist Sicherheit. Das Terrain des als gesichert Geltenden zu verlassen, ist Risiko.

Imperfektion, Zufall, Spontanität – was lässt sich nicht speichern, aufzeichnen und dokumentieren? Wie haltbar ist der Moment? Was ist die Qualität des Flüchtigen? Wie produktiv ist das Vergessen? Umschreiben von Regeln, Abbrechen von Prozessen, Auswählen und Löschen - garage 05 sucht nach künstlerischen Ansätzen und Positionen, die sich kritisch mit Technologien und Mechaniken des Speicherns, Archivierens und Vergessens auseinandersetzen. Trash your archives, but don’t forget to make a backup!